Aus Alt mach Neu
Ein Interview mit Adrian Stroiwas von der Gesamtschule West in Bremen
Neben einer Schulimkerei trägt eine schuleigene Werkstatt dazu bei, dass sich die Gesamtschule Bremen West den Titel als Verbraucherschule Silber redlich verdient hat. Der Lehrer und Sonderpädagoge Adrian Stroiwas ist Initiator des Reparatur- und Upcycling-Projekts und verrät uns im Gespräch mehr über die Werkstatt und seine Erfahrungen mit Verbraucherbildung.
Wie funktioniert die Fahrradwerkstatt in Ihrer Schule?
Die „Fahrradwerkstatt“ müssen Sie sich eher wie ein „mobiles Reparaturteam“ vorstellen. Zwar verfügt dieses Team über einen Raum und einen Reparaturständer für Fahrräder, doch wollen wir über Fahrräder hinaus auch alles Mögliche an der Schule wieder in Stand setzen. Viele Kids und junge Eltern kennen das Motto aus einer Zeichentrickserie: „Nichts verschwenden, wiederverwenden!“ Gemäß dessen ist es mein Ziel, meinen Schüler:innen zu zeigen, dass man meist mit wenig Mitteln Dinge wieder oder anders nutzbar machen kann. So reparieren wir neben Fahrrädern und Rollern, auch beispielsweise Tischtennisplatten, Tischkicker, Schulmöbel und bauen aus alten Paletten Sitzgelegenheiten für draußen.
Unsere Werkstatt hat keine klassischen Öffnungszeiten. Über das schulinterne Netzwerk können Schüler:innen und Lehrer:innen das Reparaturteam direkt anfragen und einen Termin vereinbaren. Das Schüler:innen-Team und ich werkeln entweder selbst oder leiten an, indem wir die notwendigen Kniffe zeigen.
Überall lockt Werbung mit dem neuesten Mode-, Möbel- oder Technik-Trend. Wie passen Upcycling und Reparieren da in die Lebensrealität der Schüler:innen?
Die Gesamtschule Bremen West befindet sich in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Ein Großteil der Schüler:innen kommen aus sozial benachteiligten Familien, sind teilweise auf ein bezuschusstes Mittagessen angewiesen. Meiner Beobachtung nach hat „alt und repariert“ in diesen sozialen Milieus einen anderen Stellenwert als in besserverdienenden Haushalten. Für die Schüler:innen ist Neu immer noch besser. Doch das Reparieren im Sinne einer Erfahrung von Selbstwirksamkeit, also etwas mit eigenen Händen, eigenem Können und eigene Ideen zu erschaffen und geschafft zu haben, entfacht jede Menge persönlichen Antrieb und macht den Schüler:innen viel Freude.
Darüber hinaus sehe ich mich als Lehrer und Sozialpädagoge zugleich klar in der Rolle, die Schüler:innen zu motivieren, mit Dingen achtsam umzugehen: Viele haben noch kaum einen Bezug zum Geld und müssen erst lernen, was das Leben kostet. So beobachte ich immer wieder, dass Schüler:innen mit kostenlosen Schulmaterialien sorglos umgehen und Pfandflaschen in den Müll werfen – obwohl das Geld in vielen Familien knapp ist. Dabei habe ich hier festgestellt, dass ich mit theoretischen und für meine Schüler:innen abstrakten Konstrukten wie „Nachhaltigkeit“ nicht weit komme: z.B. die Sustainable Development Goals sind fernab der erlebten Realität. Das Aufzeigen direkter Auswirkungen dagegen, z.B. aufs Portemonnaie, wirken bei den Schüler:innen umso deutlicher.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Verbraucherbildung an Schulen?
Ich beobachte im Umgang mit meinen Schüler:innen, dass „missionarischer Eifer“ in puncto Wissen über vorbildliches Handeln im Rahmen von Verbraucherbildung und insbesondere eines Bewusstseins für nachhaltigen Konsum oft nicht die Wirkung zeigt, die sich Verbraucherbildung in der Theorie verspricht. Meist haben sozial benachteiligte Familien kostenbedingt nur eine begrenzte (Aus)Wahl in ihren Konsumentscheidungen. Da ist auch der moralische Ansatz wenig zuträglich. Deshalb erachte ich die Vermittlung von Handlungsmöglichkeiten und Techniken – wie die des Reparierens – und das Aufzeigen sogenannter „Lifehacks“* als erstrebenswert. Der Mehrwert sollte für die Schüler:innen stets unmittelbar erfahrbar und verständlich sein (z.B. „So sparst du Geld“). Das Wissen über einen weiteren Mehrwert, z.B. etwas Gutes zu tun für Gesellschaft oder Klimaschutz, wirkt im „Nebeneffekt“ bestärkend.
Herzlichen Dank, Herr Stroiwas!
Das Interview führte Luise Will, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz.
*Lifehacks (engl.: Lebenskniffe) sind Hacks, die sich auf Unwägbarkeiten, Strategien oder Tätigkeiten des Lebens beziehen. Sie dienen dazu, ein Problem zu lösen […]. Oft haben sie das Ziel, den Alltag zu erleichtern. https://de.wikipedia.org/wiki/Lifehack
©Adrian Stroiwas/ Gesamtschule West Bremen